Kennst Du die Epigenetik?
Epigenetik wird zu einem immer wichtigeren Konzept im Tiermanagement – insbesondere in der Milchviehhaltung.
Während die Genetik den „Bauplan“ eines Tieres festlegt und damit sein Potenzial für Wachstum, Gesundheit und Leistung bestimmt, beeinflusst die Epigenetik, wie viel von diesem Potenzial tatsächlich ausgeschöpft wird.
Für Milchkälber bedeutet das: Erfahrungen in der frühen Lebensphase können langfristige Auswirkungen auf Entwicklung, Produktivität und Widerstandskraft haben.
Wenn ein Betrieb mit niedrigen Geburtsgewichten, Durchfall, Lungenentzündungen, schwachem Wachstum oder enttäuschenden Erstlaktationen zu kämpfen hat, könnten die Ursachen tiefer liegen, als man denkt.
Was ist nun die Epigenetik?
Die Epigenetik beschreibt, wie Verhalten und Umweltbedingungen Veränderungen auslösen können, die die Genaktivität beeinflussen – ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern.
Die Umwelt und die Lebensumstände beeinflussen das Verhalten der Gene – auch bei Kühen. Ernährung, Stress, Krankheitsdruck, Kolostrumaufnahme und selbst Haltungsbedingungen können das Kalb so „programmieren“, dass es später besser – oder schlechter – wächst.
Epigenetische Programmierung beginnt lange vor der Geburt
Während der Trächtigkeit beeinflussen Fütterung, Gesundheit und Stressniveau der Kuh, wie die Gene des ungeborenen Kalbes lebenslang eingestellt werden.
Mangelernährung kann epigenetische Veränderungen auslösen, die Organentwicklung hemmen, das Immunsystem schwächen und das spätere Wachstum begrenzen.
Stressfaktoren wie Hitze, Überbelegung oder Krankheiten erhöhen das Cortisolniveau der Kuh und verändern die Genaktivität des Fötus – mit Folgen wie metabolischen Problemen, geringerer Krankheitsresistenz oder reduzierter Milchleistung im späteren Leben.
Epigenetische Faktoren
Stress
Stress wirkt ebenfalls epigenetisch – und oft stärker als erwartet.
Schmerzhafte Eingriffe, schlechte Stallhygiene, soziale Isolation oder unregelmäßige Fütterungsroutinen aktivieren Stressmechanismen im Kalb.
Chronischer Stress kann die biologischen Systeme des Kalbes „neu verdrahten“, das Immunsystem schwächen und die Krankheitsanfälligkeit erhöhen.
Daher unterstützen stressarme Aufzuchtbedingungen – gute Handhabung, Gruppenhaltung und komfortable Liegeflächen – eine gesündere epigenetische Entwicklung.
Kolostrum Aufnahme
Ein epigenetischer Schlüsselfaktor ist die Kolostrumaufnahme.
Hochwertiges Kolostrum liefert nicht nur Antikörper, sondern auch Hormone, Wachstumsfaktoren und bioaktive Moleküle, die die Aktivität von Immun- und Stoffwechselgenen beeinflussen können.
Kälber, die rechtzeitig und ausreichend Kolostrum erhalten, zeigen häufig stärkere Immunität und bessere Wachstumsraten – Effekte, die zunehmend auf epigenetische Mechanismen zurückgeführt werden. Auch die Ernährung während der Milchtränkephase spielt eine entscheidende Rolle.
Die Menge an Milch oder Milchaustauscher beeinflusst die Aktivität von Genen, die für Wachstum, Muskelentwicklung und Stoffwechsel relevant sind.
Diese epigenetischen Effekte können dazu führen, dass Jungrinder effizienter wachsen, früher abkalben und in der ersten Laktation mehr Milch produzieren.
Kurz gesagt: Die frühe Lebensumwelt formt das zukünftige Tier.
Frühe Betreuung ist nicht nur gute Praxis, sondern eine epigenetische Investition in den langfristigen Erfolg der Herde.
Durch optimiertes Trockenstehermanagement, professionelles Kolostrummanagement, angepasste Ernährung, geeignete Haltungsbedingungen und Stressreduktion kann der Landwirt die Genaktivität positiv beeinflussen – mit Ergebnissen wie gesünderen Kälbern, stärkeren Färsen und leistungsfähigeren Kühen.